Vortrag

Wo bleibt Frau Schiller? 
Ein etwas anderer Blick auf die Geschichte der Literatur

Dienstag, 3. März 2020  

Schlosshofen Lochau

Roswitha Fessler

 

Die Geschichte der deutschen Literatur ist unvollständig, denn der Anteil der schreibenden Frauen ist bislang vernachlässigt, geleugnet oder bagatellisiert worden. Im ersten Abschnitt ihres Referates ging Frau Fessler auf die geschichtlichen, soziologischen und literarischen Ursachen dieser Geringschätzung ein und nannte hier vor allem die rechtlichen Rahmenbedingungen, denn der Status der Frau glich bis ins 20. Jahrhundert dem von Unmündigen. Zugang zu (höherer) Bildung wurde ihnen vielfach verwehrt. Ohne die Erlaubnis des Ehemannes und die Vermittlung von Männern konnten Frauen in der Regel nicht publizieren oder am literarischen Leben teilhaben, ihre Werke erschienen meist unter Pseudonym oder erst nach ihrem Tod. Gerade das 19. Jahrhundert weist aber eine fast unüberschaubare Zahl von Schriftstellerinnen auf, deren Werke erst heute erforscht und teilweise neu aufgelegt werden. Dennoch zeigen Literaturwissenschaft und Literaturkritik, die um 1800 begründet wurden, nach wie vor die dominierende männliche Sicht, wie aktuelle Leselisten von germanistischen Instituten und der Blick in Schulbücher spiegeln. Auch in Anthologien und Lexika sucht man oft vergeblich nach ihren Namen und Werken.
Im zweiten Teil spannte die Referentin einen großen Bogen vom Mittelalter bis in die Gegenwart und stellte die Bedeutung von Schriftstellerinnen anhand von vielen markanten Beispielen (samt Texten) in den Mittelpunkt. Mit großer Sachkenntnis und glänzender Rhetorik konnte Frau Fessler die Zuhörerschaft für dieses komplexe Thema sensibilisieren und begeistern. Sie schloss ihre Ausführungen mit der Auflösung der Titelfrage: Charlotte von Lengefeld (1766-1826), lange Zeit nur als Ehefrau Friedrich von Schillers bekannt, wurde erst 2009 in einer eigenen Biographie gewürdigt, erst 2016 wurde ihr literarisches Werk neu ediert.

 

 

Mag. Edith Lutz

Team ALTER-nativ